Bewegung in der Europa-Allianz: Zum Entscheid der Europäischen Bewegung Schweiz vom Samstag, 9. September 2023

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Vor 175 Jahren, am 12. September 1848, hat die Tagsatzung der Eidgenossenschaft die erste Bundesverfassung der Schweiz verabschiedet und den Bundesstaat gegründet. Die Verfassung von 1848 bereitete damit den Weg für die moderne, demokratische und rechtsstaatliche Schweiz. Vor vier Tagen, am 9. September 2023, hat die Generalversammlung der Europäischen Bewegung Schweiz beschlossen, unter gewissen Voraussetzungen eine Europa-Initiative mitzutragen. Die beiden Beschlüsse sind freilich nicht von derselben Bedeutung, dennoch ist es lohnend, sie in Verbindung zu setzen.

Mit der Gründung des Schweizer Bundesstaats bekam insbesondere die Aussenpolitik eine neue Dynamik: der lose verbandelte Staatenbund einigte sich gegen aussen, auch wenn die Spannungen im Innern natürlich andauerten. Ja, sie dauern bis heute an, gerade was die Beziehungen zu den europäischen Nachbarn anbelangt. Deshalb ist es so wichtig, dass die Europa-Allianz – begonnen von Operation Libero und der Grünen Partei Schweiz – am Samstag einen grossen Schritt vorwärts genommen hat: Die Europäische Bewegung Schweiz hat darauf hingewirkt, dass der bisherige Initiativtext der Allianz weiterentwickelt und verbessert wird und trägt nun das Projekt mit.

Nach dem Vorstandsausschuss und dem Vorstand haben am Samstag, 9. September nun auch die Mitglieder diesen Schritt einstimmig beschlossen. Dieser Entscheid erfolgte, nachdem unser Präsident Eric Nussbaumer (Nationalrat SP/BL) und Vizepräsident Roland Fischer (Nationalrat GLP/LU) über den Frühling und Sommer neue Textvorschläge in die Allianz getragen haben und so auf eine mögliche Erweiterung der Allianz, gerade auch in Richtung ihrer Parteien, hingewirkt haben.

Weshalb diese Initiative und weshalb jetzt?

Wer das Dossier «Europa-Initiative», beziehungsweise «Europa-Allianz», schon länger verfolgt, wird sich fragen, weshalb die Europäische Bewegung jetzt doch noch eine Initiative mitträgt. Anders gefragt: Was hat sich am Text geändert, dass die Bewegung das Instrument Volksinitiative nun sinnvoll findet?

Die Europapolitik des Bundesrats kroch seit dem Abbruch der Verhandlungen über ein Rahmenabkommen im Mai 2021 zögerlich und behutsam vorwärts. Realpolitisch betrachtet, können wir Pro-Europäer:innen nur darauf hinwirken, dass dieses Vorwärtskriechen schneller und konkreter wird: Der Bundesrat muss nach den Eckpunkten für ein Verhandlungsmandat (Entscheid vom Juni 2023) nun auch ein Verhandlungsmandat beschliessen. Die Verhandlungen mit der Europäischen Union (EU) müssen dann aufgenommen und zu einem guten Abschluss gebracht werden, und das Verhandelte muss dann innenpolitisch bei Parlament, Sozialpartnern und der Stimmbevölkerung auf Anklang stossen, mit so komfortablen Mehrheiten wie möglich.

Wir brauchen eine schlagkräftige Allianz

Für die Europäische Bewegung war immer klar, dass eine Volksinitiative diesem Prozess nur hilft, wenn sie eine schlagkräftige Allianz hinter sich schart. Mit anderen Worten muss eine Initiative realistische Gewinnchancen haben, damit sie etwas bewegen kann.

Bei aller Freundschaft zu den Involvierten: Die Operation Libero und die Grünen alleine gewinnen diese Abstimmung nicht – auch wir, die Europäische Bewegung Schweiz, geben nicht den entscheidenden Ausschlag. Es müssen die pro-europäischen Parteien und Wirtschaftskreise mit an Bord sein, wenn es europapolitisch vorwärts gehen soll – zusätzlich zu einem möglichst geeinten Bundesrat.

Das ist und bleibt eine hohe Hürde. Kein anderes politisches Dossier zieht derart tiefe Gräben durch alle Verbände und Parteien wie die Europapolitik. Die Stossrichtung des neuen Initiativtexts, wie er seit Juli 2023 vorliegt, garantiert zwar noch keinen Durchbruch, sie macht ihn aber immerhin möglich. Auf dieser Basis kann weiter sondiert werden und kann die Europa-Allianz hoffentlich erweitert werden.

Was es jetzt braucht: «Bilaterale Beziehungen» erweitern und unterhalten

Realpolitisch geht es um eine Weiterentwicklung der «Bilateralen Beziehungen», um ein neues Vertragspaket, das die Zusammenarbeit der Schweiz mit der EU um neue Themenfelder erweitern soll (allen voran den Strommarkt), und das gleichzeitig die institutionellen Fragen klärt: ohne einen geregelten Rahmen gibt es keine themenspezifische Zusammenarbeit.

Die Europäische Bewegung würde natürlich grössere, mutigere Schritte befürworten: Nur ein Beitritt zur EU erlaubt der Schweiz volle demokratische Mitbestimmung. Nur als vollwertiges Mitglied mit allen Rechten und Pflichten können wir in Europa mitreden und unsere gemeinsame Zukunft mitprägen. Mit der zugespitzten geopolitischen Lage seit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine ist die europäische Wertegemeinschaft umso wichtiger geworden.

Die Initiative gibt sich mit weniger zufrieden: nämlich, den Verhandlungsansatz des Bundesrats zu unterstützen. Gleichzeitig bleibt die Initiative offen für die Integrationsmodelle EWR (Europäischer Wirtschaftsraum) und EU. Diese verbleibenden Pisten der europäischen Integration dürfen nicht abgeschnitten werden.

Eine Initiative, die neue «Bilaterale Abkommen» befördert, ist deshalb ein Dammbruch in der Europapolitik. Es bräche ein kleiner Damm, zugegeben, aber immerhin! Seit bald zehn Jahren ist das Europadossier innenpolitisch derart blockiert, dass sich jeder Schritt vorwärts wie ein Meilenstein anfühlt.

Den alten «Bilateralen Weg» gibt es nicht mehr

Was in der Schweizer Politik noch zu wenig angekommen ist, und bis nach den Wahlen wohl auch nicht ankommen wird: Den alten «Bilateralen Weg» gibt es nicht mehr. Es gibt nur ein weiterentwickeltes Verhältnis Schweiz-EU, irgendwo auf dem Spektrum zwischen Drittstaat Schweiz und Mitbestimmung.

Der Erfolgsweg der letzten 25 Jahre basiert auf einem immer komplexeren Gefüge von Verträgen. Dieses Gefüge droht auseinanderzufallen, wenn es nicht gepflegt und weiterentwickelt wird. Diese Weiterentwicklung ist nicht als Reform, sondern als Unterhaltsarbeit zu sehen: Um ein Haus zu erhalten und bewohnbar zu halten, muss manchmal ein Dach saniert und ein kleiner Anbau gemacht werden. Sanfte Neuerungen um das Bewährte zu erhalten.

Die Europa-Initiative unterhält also die Beziehungen der Schweiz zur europäischen Wertegemeinschaft, indem sie diese Beziehungen sanft und pragmatisch weiterentwickelt.

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12.09.2023

Dominik Elser

Vizepräsident der Europäischen Bewegung Schweiz
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