Ein Plädoyer für die EU

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Fehlende Diskussion über Alternativen nach dem 26. Mai 2021

Die Idee, ein Buch über die EU und einen Beitritt der Schweiz zu ihr zu schreiben, entstand in der Endphase der Verhandlungen zwischen der Schweiz und der EU über ein institutionelles Rahmenabkommen. Diese Endphase war gekennzeichnet durch ein bizarres Gezerre zwischen der Schweiz und der EU sowie unter schweizerischen Parteien, Gewerkschaften und Wirtschaftsorganisationen. Die EU beharrte auch in Nachverhandlungen auf weitreichenden Konzessionen der Schweiz. Hierzulande zerbrach die grosse europapolitische Mitte-Links-Koalition von Parteien und Verbänden, die den Bilateralismus mit der EU ermöglicht hatte. Der Bundesrat sah sich deshalb im Mai 2021 veranlasst, die Verhandlungen mit der EU über ein Rahmenabkommen ergebnislos abzubrechen. Der europapolitische Königsweg, zu dem der Bilateralismus geworden war, schien damit abrupt an seinem Ende angelangt zu sein. In der Phase nach dem Verhandlungsabbruch überboten sich Parteien, Verbände und europapolitische Interessengruppen gegenseitig mit Vorschlägen, wie es mit der Schweiz und der EU weitergehen sollte. Grundtenor: Am Bilateralismus sollte festgehalten werden. Eine grundlegende Diskussion über Alternativen setzte nicht ein. So brachte denn auch niemand den Beitritt der Schweiz zur EU ins Spiel. Der Bundesrat tat dies ebenso wenig, als er im Februar 2022 entschied, den bilateralen Weg mit einem dritten Paket von Verträgen fortsetzen zu wollen.

Das ist erstaunlich, denn die bilateralen Verträge mit der EU haben nicht nur Vorteile für die Schweiz. Insbesondere muss sie auch bei einer Fortsetzung dieses Wegs EU-Recht übernehmen, bei dessen Erlass sie nicht mitentscheiden kann. Mehr noch: Die Übernahme von EU-Recht soll in Zukunft dynamisch und nicht mehr auf dem Verhandlungsweg erfolgen, wie die EU-Kommission inzwischen klar gemacht hat. Und auch am Mitwirken des Europäischen Gerichtshofs bei der Streitschlichtung hält die Kommission fest. Damit wird deutlich: Der institutionelle Preis, den die Schweiz für eine Fortsetzung des bilateralen Wegs mit der EU zahlen muss, bleibt hoch.

EU-Stier bei den Hörnern packen

Darum wird im Buch postuliert, die Schweiz sollte den Stier bei den Hörnern packen und der EU beitreten. Dann erhielte sie ein Mitentscheidungsrecht beim Erlass von EU-Recht, das sie aufgrund ihrer engen Verflechtung mit der EU schon seit längerem ohnehin autonom oder aufgrund der bilateralen Verträge übernimmt. Die Schweiz könnte in allen EU-Organen Einsitz nehmen sowie voll und gleichberechtigt mit anderen europäischen Staaten an der zukünftigen Gestaltung Europas mitwirken. Ein EU-Beitritt wäre deshalb für die Schweiz gegenüber dem Bilateralismus
mit einem Souveränitätsgewinn verbunden. Und mit einem Beitritt wäre die Schweiz nicht mehr nur eine eigenbrötlerische Trittbrettfahrerin, die von der EU-Friedens- und Prosperitätsdividende profitiert. Wenn ein EU-Beitritt der Schweiz beim Stimmvolk Erfolg haben will, muss dieses die EU gut kennen. Deshalb wird im Buch auch die heutige EU porträtiert. Dabei kommen nicht nur deren Misserfolge und Schwächen zur Sprache, wie das in der Schweiz häufig geschieht. Dargestellt werden ebenfalls die Erfolge und Stärken der EU, die es auch gibt und die heute so selbstverständlich sind, dass sie von den Medien und in Diskussionen kaum mehr erwähnt werden. Diese Erfolge und Stärken machen die EU unentbehrlich. Joschka Fischer, der ehemalige deutsche Aussenminister und Politiker der Grünen, sagte: «Wenn es die EU nicht gäbe, dann müsste man sie erfinden.»

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10.11.2022

Martin Gollmer

Martin Gollmer hat nach dem Studium der Ökonomie und der Publizistik in St. Gallen und Zürich fast sein ganzes Berufsleben lang als Journalist gearbeitet – etwa für das St. Galler Tagblatt, den Tagesanzeiger und die Finanz und Wirtschaft. 1989–1995 war er für den Tages-Anzeiger als EU-Korrespondent in Brüssel tätig. 1999–2002 leitete er das Euro Info Center Schweiz (EICS) beim Osec Business Network Switzerland. Das EICS gehörte zu einem von der EU-Kommission organisierten Informations- und Beratungsnetzwerk, das KMU bei ihren Aktivitäten in der EU unterstützte. Heute arbeitet Gollmer als freier Journalist.
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