Der «Stategische Kompass» der Europäischen Union

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Interview mit Clara Cramer, Projektassistentin «Connecting Europe» beim European Policy Centre.

Vor dem Hintergrund einer sich zunehmend verändernden geopolitischen Lage will die EU mit dem Strategischen Kompass ihre Sicherheits- und Verteidigungspolitik bis 2030 stärken. Dieser Kompass deckt alle Aspekte der Sicherheits- und Verteidigungspolitik ab und beruht auf den vier Säulen «Handeln», «Sichern», «Investieren», und «Mit Partnern zusammenarbeiten». Können Sie uns dazu etwas mehr sagen? Wie sieht die neue Strategie konkret aus? 

Vielmehr als eine neue Strategie, ist der Strategische Kompass ein «Aktionsplan» mit drei Kernzielen: (1) die divergierenden Bedrohungswahrnehmungen der 27 Mitgliedstaaten miteinander in Einklang zu bringen, (2) klare gemeinsame Ziele für die Zukunft europäischer Sicherheits- & Verteidigungspolitik zu definieren, und (3) bestehende Instrumente so zu verbessern, dass diese Ziele erreicht werden können. Diese Verbesserungsmassnahmen stehen allesamt im Zeichen von mehr institutioneller Flexibilität und Pragmatismus.

Inwiefern ist der Strategische Kompass kompatibel oder nicht mit der Sicherheits- und Verteidigungspolitik der neutralen Länder wie Österreich, Irland, Malta, Schweden oder Finnland?

Die Sonderstellung dieser Mitgliedstaaten warf bislang bei fast jeder Weiterentwicklung europäischer Sicherheits- & Verteidigungspolitik genau diese Frage auf. Die jeweiligen Interpretationen von Neutralität gehen weit auseinander und sind, wie die NATO-Beitrittsgesuche Finnlands und Schwedens zeigen, sehr dynamisch. Eine gewisse Vagheit und einzelne Sonderregelungen erlaubten es der EU bisher jedoch immer, die Neutralen von weiteren Integrationsschritten zu überzeugen – so auch vom Strategischen Kompass.

Ausführlichere Analyse zur Thematik von Dr. Ulrike Franke und Clara Cramer für das European Council on Foreign Relations: «Ambiguous alliance: Neutrality, opt-outs, and European defence» (Juni 2021)

Die ursprüngliche Bedrohungsanalyse, auf welcher der Strategische Kompass ruht, hat diverse Sicherheitslücken identifiziert. Wo sehen Sie den dringendsten Handlungsbedarf?

Die konkreten Ergebnisse der Bedrohungsanalyse werden aus Sicherheitsgründen unter Verschluss gehalten, aber egal ob es um den Umgang mit Russland, China, Cyberattacken oder anderen potenziellen Bedrohungen geht, sehe ich den dringendsten Handlungsbedarf für die EU in der Beschleunigung von sicherheitspolitischen Entscheidungsprozessen und der konsequenten Koordination von nationalen Verteidigungsausgaben, an dessen Ende hoffentlich eine «wirklich europäische» Verteidigungsindustrie steht.

In der EU wurden bereits viele Anläufe für eine gemeinsame Sicherheitspolitik unternommen – welche in der Umsetzung oft am mangelnden Willen der Mitgliedsländer litten. Was ist dieses Mal anders?

Zwei Dinge: (1) Im Unterschied zu vorangegangen ähnlich gearteten Dokumenten wurde der Strategische Kompass von allen 27 Mitgliedstaaten gemeinsam erarbeitet und verabschiedet. (2) Mit dem Wiederausbruch eines konventionellen Krieges hat sich die Bedrohungslage in Europa fundamental verändert. Die Bedrohung von territorialer Integrität und Souveränität ist wieder eine Reale. Diese Kombination lässt darauf hoffen, dass der politische Wille und Handlungsdruck nun gross genug sind, den Kompass umzusetzen.

Die NATO ist das grösste Militärbündnis der Welt und Garant für die Sicherheit in Europa. Viele EU-Länder sind auch NATO-Mitglieder. Inwiefern besteht die Gefahr, dass mit dem strategischen Kompass ineffiziente Parallelstrukturen zur NATO aufgebaut werden?

Diese Gefahr besteht seit jeher und weiterhin. Jedoch vielmehr als noch vor ein paar Jahren sind sich beide Institutionen heute sehr einig, dass die NATO hauptverantwortlich für die Verteidigung Europas ist. Dazu trägt die EU komplementär und vor allem durch Krisenmanagement bei. Es gibt bereits diverse Kooperationsformate, die es zur Verhinderung von Ineffizienzen weiter auszubauen gilt und wofür die anstehende Verabschiedung der dritten gemeinsamen NATO-EU Erklärung wegweisend sein wird.

C. Cramer
01.09.2022

Clara Cramer

Projektassistentin «Connecting Europe», European Policy Center