Russland ist sowohl vom Europarat als auch von allen Konventionen ausgeschlossen, die nur den Mitgliedsstaaten offenstehen, einschliesslich der äusserst wichtigen Europäischen Menschenrechtskonvention. Im Rahmen der Konvention bleibt Russland aber für alle Handlungen oder Unterlassungen, die bis zum 16. September 2022 begangen wurden, haftbar. Russland ist weiterhin völkerrechtlich verpflichtet, alle Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die vor diesem Datum erlassen wurden, vollständig umzusetzen. Russland kann Vertragspartei der offenen Konventionen bleiben. Dies hat sich etwa bei der Lanzarote-Konvention gegen die sexuelle Ausbeutung und den Missbrauch von Kindern bewährt, deren Konventionsausschuss im Zusammenhang mit den von Russland illegal entführten ukrainischen Kindern tätig wurde. Was das Budget anbelangt, so haben unsere Mitgliedstaaten bisher die Lücke geschlossen, die durch den Austritt Russlands entstanden ist. Das ist völlig richtig: Die Organisation sollte nicht dafür bestraft werden, dass sie mit dem Ausschluss Russlands das Richtige getan hat.
Die europäischen Staats- und Regierungschef: innen waren sich auf dem Gipfel bewusst, dass der Europarat sich den Herausforderungen stellen und noch mehr tun muss. Sie haben sich erneut zu den Grundwerten des Europarats bekannt, einschliesslich der Bedeutung der vollständigen Umsetzung der Gerichtsurteile. Es gab immer mal wieder Kritik am Gerichtshof und seinen Entscheiden. Er ist jedoch keine politische Institution: Er ist dazu da, Recht zu sprechen, und seine endgültigen Urteile müssen vollständig und rasch umgesetzt werden. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung für die Rechtsstaatlichkeit. Die Staats- und Regierungschef:innen zeigten auch Einigkeit in ihrer Unterstützung für die Ukraine, insbesondere durch die Schaffung eines Schadensregisters, das alle durch die russische Aggression verursachten Verluste und Schäden erfasst. Dies wird eine spätere Entschädigung ermöglichen. Darüber hinaus vereinbarten sie, Herausforderungen wie Umwelt, Menschenrechte und künstliche Intelligenz in Angriff zu nehmen. Ich bin sehr zufrieden mit dem Ergebnis und hoffe, dass unsere Mitgliedstaaten diesem Beispiel folgen und die Beschlüsse zügig umsetzen werden.
Weil ohne ihn die Rechte und Freiheiten, die wir tagtäglich geniessen, verkümmern würden – vom Recht auf Leben bis zur Meinungsfreiheit, vom Recht auf unser Privatund Familienleben bis zur Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit – und zur Vereinigungsfreiheit, um nur einige zu nennen. Dass ich Ihre Fragen frei beantworten kann und Sie sie ohne Angst veröffentlichen dürfen, ist auch den vom Europarat geförderten Werten und Normen zu verdanken. Diese sind wesentlich für unsere Lebensweise, wie wir sie in Europa seit über 70 Jahren kennen. Im Gegensatz dazu zeigt die Aggression Russlands gegen die Ukraine auf dramatische Weise, was passiert, wenn sich ein Land von diesen Werten und Normen abkoppelt. Der Europarat wird also weiterhin gebraucht. Wir müssten ihn sogar gründen, wenn es ihn nicht schon gäbe.
Sie haben Recht: Ohne die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten ist der Friede in Europa in Gefahr. Der demokratische Rückschritt nimmt viele Formen an: zunehmende Gewalt gegen Journalist: innen; Gesetze und Initiativen zur Einschränkung des zivilgesellschaftlichen Engagements und der Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit; ein polarisiertes politisches Umfeld, in dem Hassreden online wie offline zunehmen und sich häufig gegen Frauen und eine Reihe von Minderheiten und benachteiligten Gruppen richten. Diese und andere negative Phänomene sind in Europa nur allzu präsent. Wir müssen deshalb die Standards des Europarats anwenden und den notwendigen politischen Willen zeigen, um den Trend umzukehren.
Die Vorteile der künstlichen Intelligenz (KI) zu nutzen und die Gefahren einzudämmen, ist eine der zentralen Herausforderungen unserer Zeit. Aus diesem Grund arbeitet der Europarat an einem internationalen Vertrag über Aufbau, Entwicklung und Nutzung von KI-Systemen, der auf beste-henden Menschenrechts- und Rechtsstaatlichkeitsstandards basiert. Die Verhandlungen sind bereits im Gange. Wir wollen den Vertrag bis Mitte 2024 fertigstellen. Er wird in Europa ausgearbeitet, aber es ist ein Vertrag mit dem Potenzial, die Zusammenarbeit und die politische Entscheidungsfindung auf globaler Ebene zu fördern.
Der September 2023 war in weiten Teilen Europas – auch in der Schweiz – der heisseste September aller Zeiten. Dies ist kein Zufall, sondern das Ergebnis menschlichen Handelns. Das Bewältigen der «dreifachen Planetenkrise» mit Klimawandel, Umweltverschmutzung und Biodiversitätsverlust ist eine existenzielle Herausforderung. Unsere Mitgliedstaaten haben die Wahl: Entweder sie stellen sich dem Problem, indem sie die besten politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen festlegen, um diese Krise unverzüglich anzugehen. Oder die Justiz wird dafür sorgen – wie es bereits vor nationalen und internationalen Gerichten geschehen ist, einschliesslich unseres eigenen Strassburger Gerichtshofs. Es ist an der Zeit, dass sich die wirtschaftlichen und politischen Entscheidungsträger:innen bewegen und die Menschheit zielgerichtet und bewusst in eine andere Richtung führen. Denn wenn wir so weitermachen, werden wir schlafwandelnd aussterben. Die Leute haben Recht, wenn sie Massnahmen fordern: Wir alle müssen unseren Teil dazu beitragen.
Dieses Jahr feiern wir in der Tat die 60-jährige Mitgliedschaft der Schweiz in unserer Organisation. In diesen Jahrzehnten war die Schweiz ein engagierter und proaktiver Mitgliedstaat, der seine Rolle in unserem Ministerkomitee voll wahrgenommen, eine Delegation in die Parlamentarische Versammlung entsandt und einen Richter, eine Richterin am Gerichtshof gestellt hat. Der Beitrag der Schweiz war entscheidend für unsere gemeinsame Arbeit zum Schutz der Grundrechte aller Europäer:innen. Zugleich profitieren alle in der Schweiz von den Rechten und Freiheiten, die in unserer Europäischen Menschenrechtskonvention verankert sind. Ich bin sicher, dass diese Beziehung in den kommenden Jahren noch stärker werden wird, zum Nutzen aller.
Frieden.
Der Europarat hat einen Raum ohne Todesstrafe geschaffen. Die Rechte von Frauen und Kindern, LGBTIQ+-Menschen und nationalen, sprachlichen und religiösen Minderheiten sind besser geschützt als je zuvor. Unsere Sicherheit und unsere Rechte – einschliesslich unsere Privatsphäre – werden online in einem Masse geachtet, wie es sonst nicht der Fall wäre. Dies sind nur einige Beispiele dafür, wie diese Organisation auch weiterhin das Leben aller Menschen verbessert. Nächstes Jahr wird der Europarat sein 75-jähriges Bestehen feiern. In all diesen Jahren haben wir an einem besseren Europa gearbeitet. Wir sollten unsere Rechte und Freiheiten niemals als selbstverständlich ansehen. Pflegen wir sie, leben wir sie und fördern wir sie.