Das EU-Katastrophenschutzverfahren und die Schweiz

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Interview mit Roland Bollin, Leiter des Bereichs Internationale Angelegenheiten, Bundesamt für Bevölkerungsschutz BABS.

Warum ist internationale Zusammenarbeit beim Bevölkerungsschutz wichtig?

Die Schweiz ist ein kleines Land in der Mitte des europäischen Kontinents. Katastrophen und Notfälle kennen keine politischen oder geografischen Grenzen. Das zeigen die Corona-Pandemie, der Konflikt in der Ukraine oder Waldbrände eindrücklich.

Die EU-Kommission hat seit 2001 ein Katastrophenschutzverfahren eingerichtet, welches seither mehr als 600-mal für Notsituationen eingesetzt wurde, jüngst für die Waldbrandbekämpfung in Kanada. Können Sie uns kurz erklären, wie es funktioniert?

Jedes Land der Welt oder internationale Organisationen können das Katastrophenschutzverfahren der Europäischen Union (EU) um Hilfe ersuchen, wenn das Ausmass von Ereignissen die nationalen Einsatzkapazitäten übersteigt. Nachdem ein Land um Unterstützung angesucht hat, koordiniert und mobilisiert das Zentrum für die Koordination von Notfallmassnahmen (ERCC) die von den Mitgliedstaaten angebotene Hilfe oder Fachwissen. Es stellt sicher, dass Hilfe dort ankommt, wo sie gebraucht wird. Das Katastrophenschutzverfahren der EU umfasst einen Europäischen Katastrophenschutz-Pool der Mitgliedstaaten und seit 2019 eine zusätzliche rescEU-Reserve, unter anderem mit Löschflugzeugen und -hubschraubern.

Wie gestaltet sich die derzeitige Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und anderen europäischen Ländern bei der Katastrophenhilfe?

Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz (BABS) pflegt im Rahmen seines gesetzlichen Auftrags und internationalen Abkommen Kontakte zu Staaten und international tätigen Organisationen, die einen vergleichbaren Auftrag haben. Mit den Nachbarländern gibt es Staatsverträge. Die Zusammenarbeit mit Liechtenstein funktioniert, vergleichbar mit den Kantonen. Die Zusammenarbeit mit Deutschland funktioniert ebenfalls sehr gut. Mit Frankreich, Österreich und Italien gibt es Kontakte nach Bedarf. Die bilaterale Zusammenarbeit wird immer mehr durch die multilaterale Zusammenarbeit des Katastrophenschutzverfahren der EU abgelöst.

Die Schweiz ist nicht Teil des EU-Schutzverfahrens, ein Beitritt wurde in der jüngeren Vergangenheit angesichts immer extremerer Umweltkatastrophen von verschiedenen Politiker:innen gefordert. Wie sehen Sie die Zukunft der Zusammenarbeit mit der Europäischen Union in diesem Bereich?

Seit 2017 besteht zwischen der Schweiz und der EU eine Verwaltungsvereinbarung im Bereich der zivilen Katastrophenhilfe. Die Vereinbarung vereinfacht den Informationsaustausch zwischen den Einsatzzentralen der Schweiz und der EU. Das reicht nicht. Eine Studie der ETH Zürich aus dem Jahr 2021 gibt eine Einschätzung des Nutzens, der Kosten, der Chancen und der Risiken für die Schweiz. Eine rasche Beteiligung wäre eine «Win-Win»-Situation für alle Beteiligten im Sinne unserer Aufgabe – Leben retten, Infrastrukturen und Lebensgrundlagen schützen. Allerdings steht das EU-Katastrophenschutzverfahren den EFTA-Staaten, die dem EWR angehören, sowie den EU-Beitrittsländern offen. Da die Schweiz nicht in diese Kategorien fällt, ist ein Beitritt derzeit nicht möglich. Eine Anpassung des EU-Beschlusses für das Katastrophenschutzverfahren oder ein Staatsvertrag (eher unwahrscheinlich) könnte Abhilfe schaffen. Wir arbeiten an Lösungen.

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Roland Bollin

Leiter des Bereichs Internationale Angelegenheiten, Bundesamt für Bevölkerungsschutz BABS