Eine Institution zum Schutz unserer gemeinsamen Werte

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Als Nationalrätin hatte ich das grosse Privileg, während vier Jahren (2008–2012) in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats mitarbeiten zu können – einer Versammlung aus Vertreter:innen von 46 europäischen Ländern (die Russische Föderation wurde nach ihrem Angriff auf die Ukraine ausgeschlossen).

Gemeinsame Werte

Der Europarat befasst sich – basierend auf gemeinsamen Werten, anhand derer sich unser Kontinent weiterentwickeln muss – ausschliesslich mit drei Themenbereichen: Förderung der Demokratie, Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit und Achtung der Menschenrechte.

Angesichts der unterschiedlichen Definitionen und Auslegungen in den Mitgliedstaaten ist die Arbeit der Mitglieder der Parlamentarischen Versammlung immens. Die Parlamentarier:innen arbeiten darauf hin, die Normen so genau wie möglich zu definieren, damit sie überall mit den gleichen Standards umgesetzt werden können. Einige Regierungen stellen diese Arbeit regelmässig in Frage, weil sie sich möglichst vage Standards mit grösserem Interpretationsspielraum wünschen.

Konkrete Schritte zur Förderung der Menschenrechte

Während meiner Zeit in Strassburg befasste sich der Europarat unter anderem mit Gewalt gegen Frauen, auch «Femizide» genannt. Dank zunehmenden Bewusstseins für dieses Problem im Europarat fand in allen Mitgliedsländern eine grosse Präventionskampagne statt. Sie trug dazu bei, die physischen und/oder psychischen Übergriffe – die zwar im privaten Familienkreis geschehen, aber nicht länger verschwiegen und versteckt werden dürfen – ans Licht zu bringen und zu benennen. Die Kampagne hat meiner Meinung nach zu einer wirksameren Bekämpfung solcher Verbrechen geführt. Es ist ein Fortschritt und ein konkreter Beitrag des Europarats zur Achtung der Menschenrechte in Europa. Aber es bleibt noch viel zu tun.

Im selben Zeitraum erhielt mein Kollege Dick Marty vom Europarat den Auftrag, die von der CIA auf europäischem Boden eingerichteten Geheimgefängnisse zu untersuchen. Die Inhaftierungen auf blossen Verdacht hin zeigten menschenrechtswidrige Praktiken und wurden scharf angeprangert. Dick Marty war es auch, der den Organhandel im Kosovo während des Balkankrieges aufdeckte. Diese beiden Untersuchungen brachten ihm grosse Schwierigkeiten ein – aber das zeigt nur, wie notwendig Institutionen wie der Europarat sind.

Für eine stärkere Förderung der Demokratie

Es ist wünschenswert, dass sich der Europarat noch aktiver mit der Förderung der Demokratie in seinen Mitgliedstaaten befasst und dabei das Bewusstsein für die demokratischen Freiheiten und Vorteile stärkt. Unsere Demokratie darf nicht nur einer Elite aus Hochschulabsolvent:innen gehören; sie muss in allen Schichten der Gesellschaft verankert sein.

Hier besteht noch Potenzial. Wir müssen einen grösseren Teil der Bevölkerung erreichen, damit sich mehr Menschen mit der Verteidigung und Förderung von Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit befassen. Der Europarat könnte beispielsweise ein Programm für Schulen ins Auge fassen, um das Bewusstsein für den Wert der Demokratie zu heben. Denn die Demokratie ist für das Gedeihen unseres Kontinents von entscheidender Bedeutung.

Heutzutage ist es aufgrund der zunehmenden Rückbesinnung auf Identitäten und des Erstarkens rechtsextremer Parteien unerlässlich, den Europarat als Ort des Dialogs und des Austauschs zu stärken, um die gemeinsamen Werte zu verteidigen.

© Francine John Calame
09.11.2023

Francine John Calame

FRANCINE JOHN CALAME war zehn Jahre lang, von 2005 bis 2015, Mitglied des Nationalrats. Sie engagierte sich bei den Grünen und war auch Mitglied des Neuenburger Grossen Rats (1993–2002) und des Gemeinderats von Cerneux- Péquignot (2004–2008). Francine John-Calame leitete die Vereinigung zum Schutz von Arbeitslosen in La Chaux-de-Fonds. Zudem war sie als Leiterin des Informationsbüros für Konsument: innen bei der Fédération romande des consommateurs (FRC) tätig. Im Jahr 2003 schloss sie eine Ausbildung zur Familienmediatorin ab. Francine John Calame ist Kassierin und Vorstandsmitglied der Sektion Neuenburg der Europäischen Bewegung Schweiz.