Arzneimittelknappheit und Reform des EU-Arzneimittelrechts

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Interview mit Stephan Mumenthaler, Direktor scienceindustries.

Wie können Sie sich die derzeitige Arzneimittelknappheit erklären?

Die angespannten Arzneimittel-Versorgungssituation ist vorwiegend hausgemacht. Die Schweiz steht zwar im Vergleich zu vielen europäischen Ländern besser da, doch besteht auch eine Abhängigkeit vom Ausland bei der Arzneimittelversorgung. Die Rahmenbedingungen müssen attraktiver ausgestaltet werden. Konkret ist die Industrie vermehrt mit übermässig kostentreibenden regulatorischen Vorgaben bei gleichzeitig laufend sinkenden Vergütungen konfrontiert.

Worum geht es bei der geplanten Überarbeitung des EU-Arzneimittelrechts?

Die Überarbeitung der allgemeinen EU-Arzneimittelvorschriften zielt auf eine engere Zusammenarbeit und Harmonisierung innerhalb der Europäischen Union im Arzneimittelmarkt ab. Dies könnte auch Konsequenzen für die Schweiz haben wie beispielsweise im Bereich der technischen Handelshemmnisse. Zudem wird der Schutz des geistigen Eigentums geschwächt, was wir sehr kritisch sehen.

Inwiefern gefährdet uns das Fehlen eines institutionellen Abkommens zwischen der Schweiz und der EU in Bezug auf die Arzneimittelversorgung?

Der europäische Binnenmarkt ist unser wichtigster ausländischer Markt. 48% der chemisch-pharmazeutischen Exporte gehen in die EU, während importseitig über 71% der eingeführten chemisch-pharmazeutischen Produkte aus der EU kommen. Die Reform der allgemeinen EU-Arzneimittelvorschriften bedingt auch eine Überarbeitung der gegenseitigen Anerkennung von Konformitätsbewertungen (MRA) im Pharmabereich. Bestehende Abkommen werden ohne Klärung der Beziehungen aber nicht aktualisiert.

Welche Auswirkungen hat eine Fortsetzung der derzeitigen Lage auf die Schweizer Pharmaindustrie?

Eine fehlende Klärung der Beziehungen Schweiz-EU führt zu einer schrittweisen Erosion der Bilateralen und gefährdet mittel- bis langfristig die wirtschaftlichen Vorteile. Auch die international hohe Wettbewerbsfähigkeit der chemisch-pharmazeutischen Industrie am Wirtschaftsstandort Schweiz gerät hierdurch unter Druck.

Was können wir tun, um diese Krise zu lösen?

Der Ball liegt bei den Verhandlungspartnern. Wir erwarten mit grosser Spannung die Bekanntgabe der Eckwerte des Verhandlungsmandats durch den Bundesrat und hoffen, dass innert nützlicher Frist eine langfristig tragfähige Lösung erzielt werden kann.

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Dr. Stephan Mumenthaler

Direktor scienceindustries, Wirtschaftsverband Chemie Pharma Life Sciences